Im internationalen Management drohen Vertrauensfallen: Aufgrund kultureller Unterschiede bleibt man misstrauisch, Vertrauen entwickelt sich viel zu langsam oder man verliert es gar – obwohl es eigentlich keinen Grund gibt, nicht zu vertrauen.
Doch wie man solche Fallen vermeiden und die Vertrauensentwicklung fördern kann, lässt sich lernen. Dieses Buch ...
„Herr Meister (leitender Angestellter, französische Geschäftsbank) berichtet über einen französischen Kollegen, mit dem ein wichtiger Kundentermin anstand: „Wir hatten eine gemeinsame Vorgehensweise für das Meeting vereinbart. Und in diesem Meeting hält diese Person sich nicht daran! Zum eigenen Vorteil! Und zu meinem Nachteil. Und diese Person, mit der werde ich nie wieder ...“
Im Rahmen unserer Forschung zur Vertrauensentwicklung im internationalen Management haben wir eine Vielzahl an Erfahrungsberichten von Führungskräften analysiert. Unsere Praxisbeispiel-Sammlung erweitern wir kontinuierlich durch weitere Forschung sowie durch Zuschriften unserer Leser.
Deutschland-Frankreich
Eine deutsche Managerin berichtet von einem Erlebnis mit einer französischen Kollegin, das sie dazu brachte, ihr Vertrauen in diese Kollegin zu hinterfragen:
„Ich hatte mich mit dieser Dame verabredet. Das heißt, ich habe kurz vorher angerufen: 'Kann ich vorbeikommen?' ''Ja, okay.' Dann bin ich zu ihr hingegangen, und dann war sie noch am Telefon. Das kommt ja vor. Das ist kein Thema. Ich kann dann aber schon unterscheiden, ob jemand am Telefon wirklich in einem wichtigen Gespräch ist – zum Beispiel mit einem Kunden, den er nicht abwürgen kann, das ist logisch – oder aber ob er halt telefoniert, telefoniert und dann hier noch und da noch.
Das ist bei den Franzosen halt so, sage ich mal. Die sind dann öfter mal ausschweifend, wenn sie dann ins Erzählen kommen. Dass man dann allerdings… Ich sage mal: Man könnte ein Zeichen geben: 'Okay, es dauert noch 5 Minuten.' Aber, wenn das nicht kommt, das empfinde ich dann schon persönlich als unhöflich.
Ich saß da der Person gegenüber und musste dann vielleicht noch 5 bis 10 Minuten warten. Man hat ja auch nicht Zeit im Überfluss. Die hat mir Zeit gestohlen. Sie hat mich bewusst warten lassen. Das ist eine Respektsache. Und für mich ist das gleich: Respekt gleich Vertrauen. Also es ist nicht gleich, aber es liegt eng beieinander. Das war so ein kleines Machtspielchen halt. Das ist für mich ein Zeichen gewesen, wo ich gesagt habe: Okay, da muss ich aufpassen. Das ist jetzt nicht so, dass ich schon gleich super misstrauisch bin, aber das sind so Zeichen."
Quelle: TRIM-Projekt / R. Münscher & J. Hormuth
Die deutsche Managerin verabredet sich telefonisch mit ihrer Kollegin, die in einem anderen Büro arbeitet. Sie wollen sich kurz bei der Kollegin treffen, um etwas im persönlichen Gespräch zu klären. Doch als sie im Büro der Kollegin ankommt, ist diese noch dabei zu telefonieren. Sie muss also warten. Was führt nun dazu, dass ihre Vertrauensbeziehung zu der Kollegin Schaden nimmt? Eine Kombination an Ereignissen bzw. Beobachtungen:
1. Trotz ihrer Verabredung muss die deutsche Managerin noch 5-10 Minuten warten, weil ihre Kollegin noch ein Telefonat zu Ende führt. Das ist ärgerlich, kann aber vorkommen.
2. Sie stellt schnell fest, dass es sich nicht um ein wichtiges Kundengespräch handelt, sondern dass sich die Kollegin über relativ belanglose Themen unterhält. Auch das könnte sie entschuldigen, wenn die Kollegin täte, was sie nicht tut:
3. Die französische Kollegin gibt ihr noch nicht einmal ein entschuldigendes Zeichen, um zu signalisieren, dass ihr bewusst ist, dass sie sie warten lässt, und dass sie gleich fertig sei. Das Fehlen eines solchen Signals führt letztendlich dazu, dass die deutsche Managerin den Eindruck gewinnt, ihre Kollegin lasse sie „bewusst warten“.
Wie wirkt das auf die deutsche Managerin? Sie fühlt sich gezielt unhöflich bzw. respektlos behandelt. Das ist der Vertrauensfaktor Respekt und Interesse zeigen. Die Managerin empfindet das Verhalten der Kollegin als „Machtspielchen“, und sie schließt für sich: Vorsicht, bei der muss ich „aufpassen“.
Das Erlebnis der deutschen Managerin ist ein Beispiel für die 'Flexibel-sein-zählt!'-Vertrauensfalle. Diese Falle entsteht durch einen kulturellen Unterschied im Umgang mit Zeit und zeitlichen Absprachen bzw. in der Art, wie man seine Arbeitsabläufe zeitlich organisiert. Man unterscheidet hier zwei Tendenzen: In manchen Kulturen tendiert man dazu, seine Arbeit im Rahmen eines gut organisierten Tagesablaufs zu erledigen - was man in der interkulturellen Managementforschung als 'monochron' bezeichnet. Im Gegensatz dazu meint die Bezeichnung 'polychron', dass man in zeitlicher Hinsicht offener an den Arbeitstag herangeht und häufiger spontan zwischen Aufgaben wechselt oder ungeplante Termine wahrnimmt.
Die französische Kollegin hat sich in dem Fallbeispiel zwar mit der deutschen Kollegin verabredet, sie bekommt aber einen Anruf, als die deutsche Kollegin noch nicht da ist. Es ist aus ihrer Perspektive nicht nötig und wäre sogar ineffizient, den Anruf nicht anzunehmen. Denn so kann sie den Moment nutzen, um ggf. etwas wichtiges zu besprechen oder zu klären. Wer weiß, wann sie den Gesprächspartner sonst am Telefon erreicht. Dass das Gespräch 5-10 Minuten länger braucht, ist aus ihrer Perspektive unproblematisch. In polychronen Arbeitskontexten sind kürzere oder auch etwas längere Wartezeiten völlig üblich. Sie sind im Arbeitsalltag normal und nicht weiter der Rede wert. Jeder akeztiert solche Wartezeiten – und nutzt sie, um kurz per Blackberry ein paar Mails zu beantworten etc. Da die Wartezeit aus der Perspektive der französischen Managerin nicht weiter außergewöhnlich ist, sieht sie auch keinen Grund darin, während des Gesprächs entschuldigende Signale zu geben.
Für die deutsche Managerin ist nicht das Warten allein der Grund, dass die Vertrauensbeziehung Schaden nimmt. Selbst wenn man den Unterschied zwischen einer monochronen und einer polychronen Arbeitsweise kennt, ist noch nicht verständlich, warum die französische Kollegin dann nicht zumindest, sobald sie die relevanten Punkte mit ihrem Gesprächspartner geklärt hat, das Gespräch beendet. Um das zu verstehen, muss man noch einen anderen Kulturunterschied kennen: den zwischen Sach- und Beziehungsorientierung.
In sachorientierten Kulturen wäre es möglich – und daher aus der Perspektive der deutschen Managerin auch angemessen, nach Eintreffen des Besuchs die telefonische Angelegenheit zügig zu klären und dann mit einem entschuldigenden Hinweis darauf, dass ein Besuch eingetroffen ist, das Gespräch zu beenden. Der verabredete Termin mit der deutschen Kollegin würde mehr zählen als das spontan zustande gekommene Telefongespräch.
In beziehungsorientierten Kulturen ist es auch im beruflichen Kontext wichtig, bei einem Kontakt neben den geschäftlichen Dingen auch auf persönlicher Ebene zu signalisieren, dass einem die Beziehung wichtig ist. Es wäre extrem unhöflich von der französischen Managerin, das Gespräch unmittelbar nach Klärung der Sachfragen zu beenden, ohne sich nicht zumindest ein wenig informell auszutauschen. Die Verpflichtung zur 'Beziehungspflege' zählt hier mehr als der verabredete Termin. Der Wert der Beziehungsorientierung fällt in vielen Kulturen mit dem Wert der Polychronie zusammen.
Eine ausführlichere Analyse des Beispiels finden Sie in unserer Publikation 'Vertrauensfallen im internationalen Management', Abschnitt 13.1.
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