Im internationalen Management drohen Vertrauensfallen: Aufgrund kultureller Unterschiede bleibt man misstrauisch, Vertrauen entwickelt sich viel zu langsam oder man verliert es gar – obwohl es eigentlich keinen Grund gibt, nicht zu vertrauen.
Doch wie man solche Fallen vermeiden und die Vertrauensentwicklung fördern kann, lässt sich lernen. Dieses Buch ...
„Herr Meister (leitender Angestellter, französische Geschäftsbank) berichtet über einen französischen Kollegen, mit dem ein wichtiger Kundentermin anstand: „Wir hatten eine gemeinsame Vorgehensweise für das Meeting vereinbart. Und in diesem Meeting hält diese Person sich nicht daran! Zum eigenen Vorteil! Und zu meinem Nachteil. Und diese Person, mit der werde ich nie wieder ...“
Im Rahmen unserer Forschung zur Vertrauensentwicklung im internationalen Management haben wir eine Vielzahl an Erfahrungsberichten von Führungskräften analysiert. Unsere Praxisbeispiel-Sammlung erweitern wir kontinuierlich durch weitere Forschung sowie durch Zuschriften unserer Leser.
Herr Meister arbeitet für eine französische Geschäftsbank. Er berichtet eine vertrauenskritische Episode aus seiner Zusammenarbeit mit einem französischen Kollegen, Herrn Bertrand, mit dem zusammen ein wichtiger Kundentermin anstand:
"Diese Person und ich, wir hatten eine gemeinsame Vorgehensweise für ein wichtiges Meeting mit einem Kunden vereinbart. Und in diesem Meeting hält diese andere Person sich nicht daran! Zu ihrem eigenen Vorteil! Und zu meinem Nachteil. Und diese Person, mit der werde ich nie wieder ein Wort reden – wenn ich das vermeiden kann. …
Wir hatten das vorher quasi abgesprochen. Der hat sich mit mir geeinigt. Und dann hat er wohl später noch von seiner Vorgesetzten Vorgaben bekommen – was auch immer – und in diesem gemeinsamen Meeting dann (das war mit uns beiden und einer anderen Partei) hat er das, was wir vereinbart hatten, einfach nicht gemacht. Er hat genau das Entgegengesetzte gemacht. Das hat er mir nicht irgendwie vorher noch kommuniziert. Das habe ich dann in dem Meeting mitbekommen. Dieser Mensch, der hatte nicht die Gradlinigkeit, das vorher mit mir abzusprechen. Er hat einfach nur das getan, was sein Boss vertreten hat."
Quelle: TRIM-Projekt / R. Münscher & J. Hormuth
Vertrauen hat viel mit Zusagen zu tun: hält jemand Wort, wenn er etwas versprochen hat? Für Herrn Meister verletzt Herr Bertrand hier dieses grundlegende Gebot der Zusammenarbeit: dass man getroffene Zusagen auch einhält. Herr Meister wertet es als klaren Vertrauensbruch, dass sich Herr Bertrand in dem Meeting mit dem Kunden nicht an das vorher vereinbarte Vorgehen hält, sondern sich (noch dazu zu seinem eigenen Vorteil!) anders verhält. Was für Herrn Meister erschwerend hinzu kommt, ist die fehlende Absage: Herr Bertrand hat ihn im Vorfeld des Treffens in keiner Weise informiert, dass er sich – aus welchen Gründen auch immer – nicht an die Abmachung halten würde.
Aus der Perspektive Herrn Meisters verhält sich Herr Bertrand damit im Hinblick auf zwei wichtige Vertrauensfaktoren in einer nicht vertrauenswürdigen Weise: Es geht um den Vertrauensfaktor Zusagen einhalten (einer der Top-10-Vertrauensfaktoren im Management) und den Vertrauensfaktor Bei Nicht-Einhalten von Zusagen informieren.
Doch Herrn Meisters Erlebnis ist ein Beispiel für die 'Chef-war-dagegen!'-Vertrauensfalle (vgl. Überblick wichtiger Vertrauensfallen). Was Herrn Meister hier in die Falle führt, ist ein Kulturunterschied im Hierarchieverständnis. Aufgrund der stärkeren Hierarchieorientierung im französischen Unternehmenskontext war es für Herrn Bertrand völlig klar, dass das Ergebnis seiner Vorbesprechung mit Herrn Meister durch das Veto seiner Vorgesetzten außer Kraft gesetzt werden würde. Denn ihr Gesprächsergebnis verletzte recht offensichtlich die auch Herrn Meister bekannte Line der Abteilung von Herrn Bertrand. Vor diesem Hintergrund ging der französische Manager Herr Bertrand ganz selbstverständlich davon aus, dass beiden klar sei, dass man zwar auf interessante Weise diskutiert hatte, aber kein verbindliches Diskussionsergebnis erreicht hatte. Herr Bertrand wäre auch gar nicht befugt gewesen, eine bindende Absprache gegen die Linie seiner Vorgesetzen zu verhandeln. Diese Tatsache war für ihn so selbstverständlich, dass er gar nicht erwogen hatte, im Vorfeld des Meetings Herrn Meister noch einmal einen separaten Hinweis zu geben, dass seine Chefin ihr Veto eingelegt habe.
Ein französischer Manager, den wir im TRIM-Projekt interviewt haben, erläutert das Grundprinzip der ‘Chef-war-dagegen!’-Falle folgendermaßen: „Man läuft in die Falle, da man als Franzose in einer solchen Situation seinen deutschen Kollegen nicht unbedingt informiert, dass man es möglicherweise anders machen wird. Man geht einfach davon aus, dass der Deutsche ja genauso merkt, dass man da – in Anführungszeichen – ein ‘politisch nicht vertretbares Ergebnis’ ausgehandelt hat. Denn der Deutsche wird ja auch mit seinem Chef Rücksprache halten. Man sagt das nicht aus Böswilligkeit nicht. Sondern da denkt man schlicht nicht dran. Das ist doch logisch“ (Münscher 2011: 344, Übers. RM).
Eine ausführlichere Analyse des Beispiels finden Sie in unserer Publikation 'Vertrauensfallen im internationalen Management', Abschnitt 7.2.
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