Im internationalen Management drohen Vertrauensfallen: Aufgrund kultureller Unterschiede bleibt man misstrauisch, Vertrauen entwickelt sich viel zu langsam oder man verliert es gar – obwohl es eigentlich keinen Grund gibt, nicht zu vertrauen.
Doch wie man solche Fallen vermeiden und die Vertrauensentwicklung fördern kann, lässt sich lernen. Dieses Buch ...
„Herr Meister (leitender Angestellter, französische Geschäftsbank) berichtet über einen französischen Kollegen, mit dem ein wichtiger Kundentermin anstand: „Wir hatten eine gemeinsame Vorgehensweise für das Meeting vereinbart. Und in diesem Meeting hält diese Person sich nicht daran! Zum eigenen Vorteil! Und zu meinem Nachteil. Und diese Person, mit der werde ich nie wieder ...“
Im Rahmen unserer Forschung zur Vertrauensentwicklung im internationalen Management haben wir eine Vielzahl an Erfahrungsberichten von Führungskräften analysiert. Unsere Praxisbeispiel-Sammlung erweitern wir kontinuierlich durch weitere Forschung sowie durch Zuschriften unserer Leser.
Frankreich-Deutschland
Ein französischer Topmanager beschreibt, warum er zu einem seiner Mitarbeiter in Deutschland kein Vertrauen hat:
"Ich habe einen deutschen Mitarbeiter, dem ich etwas zu tun gebe. Er macht sich an die Arbeit, und dann höre ich Wochen lang nichts mehr von ihm. Ich frage mich: „Was macht er? Wie weit ist er wohl?“ etc. Wir hatten vereinbart, dass wir uns in etwa einem Monat wieder treffen, für ein weiteres Meeting. Oder er hatte zugesagt, dass er mir das Ergebnis in zwei Monaten liefern würde. Und in der Zwischenzeit: keine Information, nichts. Komplette Funkstille. Das ist irgendwie schockierend – zumindest für mich, vielleicht auch für Franzosen generell. Und das passiert nicht selten.
Ein konkretes Erlebnis, das ich hatte, ist folgendes: Ich musste einen Monat später eine Präsentation vor dem Management Committee halten – über ein bestimmtes Thema. Mein deutscher Kollege hatte vorgesehen, mir die Präsentation zwei Tage vor dem Termin zu geben. DREI TAGE vor der Präsentation wusste ich noch von gar nichts… ich wusste GAR NICHTS… Das ist die Funkstille, die es manchmal geben kann: Die Aufgabe war ihm anvertraut worden. Von dem Moment an, in dem ich ihm die Aufgabe anvertraue, geht der Kerl mit dem Auftrag weg und dann: no news."
Quelle: TRIM-Projekt / R. Münscher & J. Hormuth
Das Erlebnis des französischen Top-Manager ist ein Beispiel für die 'Ich-regel-das-allein!'-Vertrauensfalle (vgl. Überblick wichtiger Vertrauensfallen): Der französische Top-Manager hat seinem deutschen Mitarbeiter eine Aufgabe übertragen, die er für wichtig hält. Selbstverständlich geht er grundsätzlich davon aus, dass der Mitarbeiter die Aufgabe eigenständig bearbeiten wird. Allerdings erwartet er, gerade angesichts der Wichtigkeit der Präsentation, dass ihn der Mitarbeiter über den Fortschritt der Arbeit auf Stand hält, ihm signalisiert, dass die Sache in Arbeit ist und rechtzeitig fertig sein wird. Die „komplette Funkstille“ seitens des Deutschen, ist für ihn geradezu „schockierend“. Sein Vertrauen in diesen Mitarbeiter steht infrage, relevant ist hierbei vor allem der Vertrauensfaktor Regelmäßig berichten.
Verantwortlich für die Vertrauensfalle, in die der französische Manager gerät, ist ein Kulturunterschied des Hierarchieverständnisses zwischen französischen und deutschen Managern. Dabei geht es hier vor allem um die Frage der Kommunikation beim selbständigen Arbeiten. Wie viel bzw. welche Kommunikation ist erwünscht und angemessen, wenn eine Aufgabe an einen Mitarbeiter delegiert wurde?
In der weniger hierarchisch orientierten deutschen Kultur setzen Führungskräfte tendenziell auf eine möglichst umfassende Delegation. Sie erwarten im Gegenzug selbständig arbeitende Mitarbeiter, die Verantwortung übernehmen und nicht ständig nachfragen. Französische Führungskräfte gehen demgegenüber in der Übertragung von Zuständigkeiten häufig deutlich weniger weit. Sie erwarten auch von 'selbständig' arbeitenden Mitarbeitern, dass sie kontinuierlich sowohl über Schwierigkeiten als auch über Fortschritte informieren. Mitarbeiter sollten, auch wenn alles gut läuft, "immer mal eine Reassurance geben“ wie es einer unserer Interviewpartner im TRIM-Projekt formulierte (Münscher 2011: 199).
Vor dem Hintergrund dieses Unterschieds lässt sich rekonstruieren, wie der französische Manager in die Vertrauensfalle gerät: Er ist enttäuscht, dass er nicht wie erwartet regelmäßig über Zwischenstände informiert und auf Stand gehalten wird, und interpretiert das Verhalten des deutschen Mitarbeiters als Vertrauenswarnung in Bezug auf den Vertrauensfaktor Regelmäßig berichten. Im Gegensatz dazu ist der deutsche Mitarbeiter bemüht, ein perfekt selbständiges Arbeitsverhalten an den Tag zu legen und auf kommunikative Abstimmung, wo unnötig, zu verzichten (vgl. Faktor Selbständig arbeiten). Er hat dabei vermutlich den Eindruck, in absolut ausreichender Weise berichtet zu haben. Wenn es ernsthafte Schwierigkeiten gegeben hätte, hätte er den Vorgesetzten selbstverständlich informiert (Faktor Bei kritischen Problemen informieren).
Der französische Manager hat also sein Vertrauen in den deutschen Mitarbeiter infrage gestellt, obwohl es eigentlich keinen Grund dafür gab.
Eine ausführlichere Analyse des Beispiels finden Sie in unserer Publikation 'Vertrauensfallen im internationalen Management', Abschnitt 8.1.
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