Im internationalen Management drohen Vertrauensfallen: Aufgrund kultureller Unterschiede bleibt man misstrauisch, Vertrauen entwickelt sich viel zu langsam oder man verliert es gar – obwohl es eigentlich keinen Grund gibt, nicht zu vertrauen.
Doch wie man solche Fallen vermeiden und die Vertrauensentwicklung fördern kann, lässt sich lernen. Dieses Buch ...
„Herr Meister (leitender Angestellter, französische Geschäftsbank) berichtet über einen französischen Kollegen, mit dem ein wichtiger Kundentermin anstand: „Wir hatten eine gemeinsame Vorgehensweise für das Meeting vereinbart. Und in diesem Meeting hält diese Person sich nicht daran! Zum eigenen Vorteil! Und zu meinem Nachteil. Und diese Person, mit der werde ich nie wieder ...“
Im Rahmen unserer Forschung zur Vertrauensentwicklung im internationalen Management haben wir eine Vielzahl an Erfahrungsberichten von Führungskräften analysiert. Unsere Praxisbeispiel-Sammlung erweitern wir kontinuierlich durch weitere Forschung sowie durch Zuschriften unserer Leser.
Deutschland-Japan
Herr Heilmann leitet die Marketingabteilung der Niederlassung eines internationalen Konzerns in Tokyo. Er hat seinen Produktmanager Herrn Kono damit beauftragt, eine Informationsbroschüre über das neueste Produkt zu erstellen.
"Herr Kono legte mir einen innovativen Entwurf vor, der nur noch von einigen anderen Abteilungen – zum Beispiel der Rechtsabteilung – akzeptiert werden musste. Wie mir Herr Kono berichtete, gestalteten sich die Absprachen mit diesen Abteilungen leider schwierig. Häufig bekam Herr Kono zu hören, dass man die Produktbroschüre doch noch nie so gemacht habe. Die anderen Abteilungen hatten so viele Einwände, dass sich die Broschüre immer mehr veränderte. Als Herr Kono mir die Endfassung vorlegte, war ich entsetzt, denn meines Erachtens war die Broschüre nun nur noch mittelmäßig. Herr Kono äußerte, er sei auch nicht glücklich mit dem Resultat, aber er könne nichts dafür. Die anderen Abteilungen hätten bestimmte Dinge einfach immer abgelehnt. Ich war enttäuscht, dass Herr Kono in diesen Situationen nicht stärker argumentiert hatte."
Quelle: Kulturstandardforschung / A. Thomas
Herr Heilmann ist von seinem Mitarbeiter enttäuscht: Er hat zunächst hervorragende Arbeit geleistet und einen sehr guten, innovativen Entwurf für die Werbebroschüre entwickelt. Aber das Ergebnis, das er nach den letzten Abstimmungsschleifen abliefert, ist nur noch mittelmäßig. Dafür ist aus Herrn Heilmanns Sicht verantwortlich, dass Herr Kono es nicht geschafft hat, seine Broschüre auch bei den anderen Abteilungen durchzusetzen. Für Herrn Heilmann ist dies ein Grund, sein Vertrauen in den Mitarbeiter infrage zu stellen. Relevant sind hierbei zwei Vertrauensfaktoren 'Taktisch / strategisch vorgehen' und 'Gegen Widerstand zu seiner Überzeugung stehen'. Entweder mangelt es Herrn Kono am nötigen taktischen bzw. strategischen Geschick, wie man an eine Sache herangehen muss, um ein strittiges Projekt erfolgreich bei Dritten durchzusetzen. Oder es mangelt ihm an der Fähigkeit, bei ‘Gegenwind’ hinreichend entschieden und selbstbewusst den eigenen Entwurf zu vertreten und auch durchzusetzen.
Herrn Heilmanns Erlebnis mit Herrn Kono ist ein Beispiel für die 'Konsens-hat-Vorrang!'-Vertrauensfalle (vgl. Überblick wichtiger Vertrauensfallen). In diese Falle führt ein Kulturunterschied der Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse, wie er beispielsweise zwischen der deutschen und der japanischen Kultur besteht.
In Japan verlaufen Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse völlig anders als in Deutschland. Von höchster Wichtigkeit bei der Abstimmung von Projekten, Produkten oder allgemein von Entscheidungen ist in der japanischen Kultur, dass die betroffenen Personen und Abteilungen in einem offiziellen Konsens zum Ergebnis kommen. Daher werden alle Betroffenen einbezogen und ihre Meinungen eingeholt. Man versucht dann, diese Meinungen alle in irgendeiner Form zu berücksichtigen, um ein konsensfähiges Gesamtergebnis zu erreichen.
Zwei Begriffe charakterisieren diesen Entscheidungs- und Konsensfindungsprozess in Japan: ‘Nemawashi’ beschreibt die Vorbereitung von Entscheidungen (in zahlreichen informellen Gesprächen mit den potenziell betroffenen Personen). ‘Ringi seido’ betrifft das Einholen von Zustimmungen zu einer Entscheidung, das in einem relativ langwierigen Prozess verschiedene Abteilungen und Hierarchieebenen im Unternehmen einbindet). Für beide Prozesse ist die Einbindung aller im Unternehmen wichtigen betroffenen Manager zentral.
In unserem Beispiel war sowohl Herrn Heilmann als auch Herrn Kono bewusst, dass die betroffenen Abteilungen ihre Zustimmung zum Entwurf der Broschüre abgeben müssen. Sie hatten allerdings ein unterschiedliches Verständnis davon, wie intensiv die Meinungen der Abteilungen einzubeziehen sind. Aus Herrn Heilmanns Perspektive war das Ziel, die in der Entwurfsfassung sehr überzeugende Broschüre möglichst auch in dieser Form durchzusetzen. Die anderen Abteilungen mussten zwar zustimmen, aber idealerweise hätte man mögliche Einwände im Gespräch ausräumen und die Kollegen vom vorliegenden Entwurf überzeugen können. Die Qualität der Broschüre hatte für ihn eindeutig Vorrang vor den Meinungen der Kollegen aus den anderen Abteilungen.
Dem Japanischen Manager Herrn Kono war hingegen klar, dass er einen Weg finden muss, die Meinungen der Kollegen aus den anderen Abteilungen ernsthaft in die Konzeption der Werbebroschüre einzubeziehen, um ihre Zustimmung zu erreichen. Zwar ist für ihn auch enttäuschend, dass er seinen ursprünglich besseren Entwurf nicht durchsetzen kann. Allerdings ist ihm bewusst, dass für die Umsetzung des Entwurfs und den späteren erfolgreichen Einsatz der Broschüre der Rückhalt der anderen Abteilungen grundlegend ist. Er musste die Vorschläge der verschiedenen Abteilungen erkennbar einbeziehen. Dass er damit ein Ergebnis erzielt hat, das alle mit tragen, sieht er gerade als besonderes Verhandlungsgeschick. Er würde Herrn Heilmann daher nicht zustimmen, dass er schlecht taktiert hat, und ebenso wenig, dass er zu wenig selbstbewusst aufgetreten ist.
Eine ausführlichere Analyse des Beispiels finden Sie in unserer Publikation 'Vertrauensfallen im internationalen Management', Abschnitt 10.2.
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